Über den Aufstieg rechtsextremer Parteien

Was uns die Geschichte erzählt

Von Rainer Werner

Es ist ein ambitioniertes Anliegen der Geschichtswissenschaft, herauszufinden, ob sich bei den erfolgreichen Revolutionen der Geschichte ein charakteristisches Muster finden lässt. Bei der Novemberrevolution in Deutschland 1918 und bei der Oktoberrevolution der Bolschewiki im zaristischen Russland waren es verlorene Kriege, die das alte Regime ins Wanken geraten ließen. Die Bolschewiki waren, obwohl nur eine zahlenmäßig kleine Gruppierung, skrupellos genug, die Macht an sich zu reißen und die Gegner in einem längeren Bürgerkrieg niederzuringen. In Deutschland waren die Kräfte, die sich an der sowjetischen Räterevolution orientierten, Spartakus und KPD, zu schwach, um gegen die demokratietreue Sozialdemokratie und die mit ihr verbündete Reichswehr bestehen zu können. Deshalb mündete der deutsche Arbeiter- und Soldatenaufstand in eine parlamentarische Demokratie. Die Französische Revolution von 1789 war eine klassische Hunger-Revolte. Im Revolutionsjahr war Brot teurer als zu jedem anderen Zeitpunkt im 18. Jahrhundert. Hinzu kam die Zerrüttung der Staatsfinanzen, die einer verschwenderischen Hofhaltung und der schmarotzerischen Günstlingswirtschaft des Königs geschuldet war. Die Freiheits- und Gleichheitsideen der Aufklärung bildeten den geistigen Treibsatz, der den Franzosen die Angst vor der königlichen Autorität nahm.

Deportationsfantasien der extremen Rechten

Am 25. November 2023 trafen sich in einem Potsdamer Hotel Menschen aus dem rechten politischen Spektrum zum Gedankenaustausch, darunter waren Politiker von CDU und AfD sowie aus der rechtsextremen Identitären Bewegung. Zur Sprache kam ein alter Plan der Rechtsextremisten: die sog. Remigration. Darunter verstehen sie die massenhafte Ausweisung von Migranten und von Menschen mit Migrationsgeschichte aus Deutschland. Damit soll eine vorgeblich stattgefundene „Umvolkung“ rückgängig gemacht werden. Eine solche Deportation verstieße gegen die Verfassung und gegen geltende Gesetze. Solche Pläne ins Auge zu fassen, verrät ein rassistisches und totalitäres Denken. Dass in Politik und Öffentlichkeit die Wogen der Empörung hochschlugen, kann deshalb nicht verwundern. In zahlreichen deutschen Städten kam es zu Demonstrationen gegen die AfD, an denen nach Schätzung der Polizei über eine Million Menschen teilnahmen. Auf Transparenten war zu lesen: „Nie wieder Faschismus“, „Wehret den Anfängen“ und „AfD verbieten“. So sehr man das Entsetzen der Demokraten verstehen kann, so wichtig wäre es zu verstehen, welche Faktoren dazu beigetragen haben, dass die AfD bei Wählerbefragungen so stark zugelegt hat.

Der Aufstieg der NSDAP

Hinter dem Slogan „Wehret den Anfängen“ verbirgt sich die Angst, der AfD werde es wie der NSDAP gelingen, durch demokratische Wahlen an die Macht zu kommen. Es lohnt sich, sich die Ursachen für den Aufstieg der NSDAP genauer vor Augen zu führen. Nur wenn man sie  versteht, kann man vernünftige Schlussfolgerungen für den Umgang mit der AfD ableiten. Entscheidend für den Aufstieg der NSDAP waren die Ereignisse des Jahres 1930. Bis zu diesem Jahr war die NSDAP noch eine Splitterpartei. Bei den Reichstagswahlen von 1928 hatte sie gerade einmal 2,6 Prozent der Stimmen erzielt. Zwei Jahre später, 1930, stieg ihr Stimmenanteil schlagartig auf 18,3 Prozent. Der fulminante Zuspruch durch die Wählerschaft erfolgte vor allem zulasten der SPD. Was war geschehen? Am 24. Oktober 1929 gab es in New York einen Börsencrash, der die Weltwirtschaftskrise auslöste. Alle großen Industrienationen wurden von ihr erfasst. Es gab zahlreiche Firmen- und Bankenzusammenbrüche. Die Arbeitslosenzahlen erklommen ungeahnte Höhen. Die Staatsfinanzen vieler Industriestaaten gerieten in Schieflage. In Deutschland versuchte die Regierung, die von dem Sozialdemokraten Hermann Müller geführt wurde, die Lage in den Griff zu bekommen. Sie scheiterte am Streit um die drei Jahre zuvor eingeführte Arbeitslosenversicherung. Während das konservative Zentrum die Beiträge für Arbeiter und Firmen nur moderat erhöhen wollte, plädierten SPD und Gewerkschaften für eine starke Erhöhung, um Leistungskürzungen bei den Arbeitslosen zu verhindern. Gemessen an den schwerwiegenden Folgen der Regierungskrise – der Zunahme der NSDAP in der Wählergunst – war der Streitpunkt belanglos. Der Streit zwischen SPD und Zentrum führte zum Bruch der Regierung und trieb enttäuschte Wähler in die Arme der NSDAP. Da die Regierung des Zentrumpolitikers Brüning, die folgte, über keine parlamentarische Mehrheit mehr verfügte, regierte der Kanzler mit Hilfe des Notverordnungsparagrafen 48 der Verfassung am Parlament vorbei. Die schiefe Bahn in Richtung Diktatur war damit beschritten. Um Neuwahlen zu verhindern, für die die SPD einen weiteren Rechtsruck befürchtete, tolerierte sie in der Folge die Politik Brünings, die aus heutiger Sicht die Wirtschaftskrise eher verstärkte, als sie zu beheben. Für die SPD war die Situation bitter: Um weitere Belastungen ihren Wählern, den Arbeitern und Angestellten, abzuwenden, hatte sie die Koalition mit dem Zentrum platzen lassen. In der Folge musste sie weit schlimmere Zumutungen für ihre Wähler schlucken, um Kanzler Brüning als „kleineres Übel“ an der Macht zu halten. Reichspräsident Hindenburg ernannte schließlich am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler. In der einsetzenden Gleichschaltung drängte Hitler den Koalitionspartner DNVP aus der Regierung und verbot alle Parteien bis auf die eigene. Die Führer von SPD und KPD gingen ins Exil, wenn sie nicht schon vorher verhaftet worden waren. Wenn man die Ereignisse des Jahres 1930 betrachtet, muss man dem Historiker Heinrich August Winkler rechtgeben. Er sieht die Ursache für den Niedergang der Weimarer Demokratie in der programmatischen Unversöhnlichkeit der Parteien begründet, die sich mehr ihrer Parteiideologie verpflichtet fühlten als dem Wohl des Staates.

Radikalisierung der bürgerlichen Mitte

Wahlanalysen haben ergeben, dass sich in der Spätphase der Weimarer Republik eine Radikalisierung der bürgerlichen Mitte vollzog, von der vor allem die NSDAP, teilweise auch die KPD, profitierte. Handwerker, Händler, Bauern und kleine Ladeninhaber hatten Angst vor  sozialem Abstieg, vor Deklassierung und Proletarisierung. Diese Angst trieb sie in die Arme der Nationalsozialisten, die ihnen ökonomische Sicherheit versprachen. Die meisten dieser „Angstwähler“ waren keine überzeugten Nationalsozialisten, sie waren auch nicht rassistisch oder antisemitisch gestimmt. Sie klammerten sich in ihrer wirtschaftlichen Not an den Strohhalm, der sich ihnen in der braunen Partei bot. Dabei sahen sie über die nationalistischen und antisemitischen Tiraden der NSDAP-Führer hinweg. Wie Wahlforscher immer wieder betonen, sind Abstiegsängste ein mächtiger psychologischer Faktor für die Wahlentscheidung. Wer befürchten muss, im ökonomischen Wettbewerb nicht mehr mithalten zu können, wird alles tun, um seinen sozialen Abstieg abzuwenden. Er wird sich notfalls auch Parteien in die Arme werfen, die nach moralischen Gesichtspunkten eher problematisch sind. Am Ende der Weimarer Republik war diese Angst vor Verelendung besonders groß, weil die soziale Absicherung von in Not geratenen Menschen bei weitem noch nicht dem entsprach, was unser moderner Sozialstaat an Hilfe bereithält.

Die Entwicklung der AfD von der Euro-Skepsis zum Rechtsextremismus

Die AfD wurde 2013 als Euro-kritische Partei gegründet. Die Gründer waren Professoren der Volkswirtschaft, die der Bundesregierung vorwarfen, der Aufweichung des Euro durch die Europäische Kommission und die Europäische Zentralbank zu wenig Widerstand entgegenzusetzen. Bei der Bundestagswahl im selben Jahr erzielte die AfD aus dem Stand mit 4,7 Prozent einen Achtungserfolg, scheiterte aber an der 5-Prozent-Sperrklausel. Der in der Folge einsetzende Radikalisierungsprozess drängte die relativ gemäßigte Gründergeneration aus der Partei und stärkte den rechtspopulistischen Flügel. Rassistische Ausfälle einzelner Politiker führten dazu, dass der Verfassungsschutz die Partei in den Blick nahm. Bei der Bundestagswahl 2017 erzielte die AfD mit 12,6 Prozent ein starkes Ergebnis. Was war geschehen? Kanzlerin Angela Merkel hatte im Herbst 2015 ohne Rücksprache mit der Europäischen Union und ohne Parlamentsbeschluss die Grenzen zu Österreich geöffnet und den Flüchtlingen aus Nahost, die in Budapest festhingen, die Einreise nach Deutschland gestattet. Zu Beginn gab es eine euphorische Willkommenskultur, die von der Zivilgesellschaft getragen wurde. Staatliche Institutionen hingegen taten sich schwer, die Massen die Identität der Flüchtlinge zu überprüfen. Viele hatten auch an der Grenze ihre Pässe weggeworfen, weil sie wussten, dass Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten wenig Aussicht auf ein Bleiberecht hatten. Migranten aus arabischen Staaten gaben sich als Syrer aus, weil bei ihnen die Anerkennungsquote am höchsten war. Einen Stimmungswechsel in der Bevölkerung hatten die Ereignisse in der Silvesternacht 2015 in Köln bewirkt. Dort war es zu über 1000 sexuellen Übergriffen gegenüber Mädchen und jungen Frauen durch Migranten aus dem arabischen Kulturraum gekommen. Als dann ZDF und ARD noch zwei Tage brauchten, um von den Geschehnissen zu berichten, entstand in der Bevölkerung der Eindruck, das kriminelle Verhalten von Migranten sollte „von oben“ vertuscht werden. Als der Zustrom von Flüchtlingen aus Nahost auch im Jahr 2016 unvermindert anhielt, gerieten immer mehr staatliche Institutionen an ihre Belastungsgrenze. Die AfD witterte ihre Chance und wandte sich als einzige Partei vehement gegen einen weiteren Flüchtlingszustrom. Damit war die Konfrontation geboren, die auch heute noch das politische Leben in Deutschland bestimmt. In der AfD gewannen die Politiker, die dem rechtsextremen, völkischen „Flügel“ zugerechnet werden, die Oberhand. Das führte dazu, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die AfD in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg als extremistischen Verdachtsfall einstufte. 2021 dehnte die Behörde diese Bewertung auf die Bundespartei aus. Diese Charakterisierung und der nachlassende Flüchtlingszuzug führten dazu, dass die AfD bei der Bundestagswahl von 2021 auf einen Stimmenanteil von 10,3 Prozent zurückfiel.

Die AfD als Protestpartei für Unzufriedene

Heute steht die AfD bei Meinungsbefragungen bei 20 Prozent. In den östlichen Bundesländern Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg erzielt sie über 30 Prozent Zustimmung. Dieser deutliche Anstieg geschah innerhalb der letzten zwei Jahre. Er muss also etwas mit der Politik der Ampelregierung zu tun haben. Viele Bürger gewannen den Eindruck, dass diese Regierung den Wohlstand des Landes durch eine falsche Wirtschafts- und Energiepolitik verspielt. Wie in den anderen Staaten der EU hat der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine auch in Deutschland wirtschaftliche Probleme verursacht. Wir sind aber das einzige Industrieland, das in eine Rezession geschlittert ist. Schuld ist eine ideologiegesteuerte Energiepolitik, die den Strom so verteuerte, dass stromintensive Fabriken der Chemie- und Stahlbranche in Not gerieten. Sie verlagerten die Produktion ins billigere Ausland oder legten sie ganz still. Zwei große Bäckereiketten mussten wegen hoher Stromkosten Insolvenz anmelden. Jeder dritte Speditionsbetrieb ist wegen der erhöhten Maut-Gebühren und der hohen Spritkosten in seiner Existenz bedroht. Als dann Robert Habeck (Grüne) sein Gebäudeenergiegesetz in den Bundestag einbrachte, das Vermieter und Wohnungseigentümer zum klimaschonenden Umbau ihrer Heizungsanlagen verpflichtet, war die Wut in der Bevölkerung groß. Der Anstieg der AfD in der Wählergunst über die 20-Prozent-Marke geschah zeitgleich mit der öffentlichen Diskussion über dieses Gesetz. Es wurde als übergriffig empfunden, als Eindringen der Politik in den intimen häuslichen Bereich der Bürger. Hinzu kam, dass Habeck die soziale Abfederung der teuren Umbaumaßnahmen „vergessen“ hatte, wie die Vorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, freimütig eingestand. Wen wundert es, dass viele enttäuschte Bürger sich der Partei zuwandten, die sie als die heftigste Dagegen-Partei wahrnahmen. Wie Schüler ihre linken Lehrer dadurch ärgern, dass sie Hakenkreuze ins Schülerpult ritzen, so hissen frustrierte Bürger die „Protestflagge AfD“, um „es der Ampel mal so richtig zu zeigen“. An den aggressiven Slogans des Protests der Bauern und Spediteure konnte man das Ausmaß der Wut ablesen.                

Irreguläre Migration verunsichert Bürger

Viele Bürger sind auch beunruhigt, weil seit zwei Jahren die irreguläre Migration wieder stark zugenommen hat. Im Jahr 2023 stellten 351.915 Migranten Asylanträge. Selbst wenn ihre Anträge abgelehnt werden, verbleiben die meisten Antragsteller im Land, weil sich die Herkunftsländer weigern, ihre Staatsbürger zurückzunehmen. Deren Überweisungen an ihre Familien sind nämlich ein wichtiger Faktor bei der Entwicklung des Heimatlandes. Lange hat sich die Bundesregierung geweigert, an der Grenze zu Polen Polizeikontrollen einzuführen. Dies widerspreche der Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union. Der Druck der Bundesländer und der Kommunen auf die Regierung ergab im Mai 2023 einen Durchbruch. Im Herbst 2023 wurden die Grenzkontrollen an der Grenze zu Polen eingeführt. Sie waren so erfolgreich, dass illegale Schleusungen auf dieser Route signifikant zurückgingen.  Die Bürger spüren in ihren Gemeinden und Wohnvierteln noch keine Entlastung, weil die Zahl der Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber denkbar gering ist. Im Jahr 2023 stehen 300.000 ausreisepflichtigen Migranten gerade mal 17.500 Abschiebungen gegenüber. Die Bürger mussten erleben, wie in ihrer Heimatstadt Sozialwohnungen aus dem Markt genommen werden, um darin Flüchtlinge unterzubringen. Der Kieler Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) gab in einem Interview zu, dass er 3.000 Sozialwohnungen, die für sozial Schwache bestimmt waren, mit Flüchtlingen belegen musste. Die immer wieder von Politikern kolportierte Behauptung, die hier Lebenden hätten keine Nachteile durch Flüchtlinge, entpuppt sich immer mehr als Falschbehauptung.

Schwindendes Sicherheitsempfinden

Ende Januar 2024 veröffentlichte das Institut für Demoskopie Allensbach den „Sicherheitsreport 2024“. Die Studie untersucht, wie sich die Probleme im Land auf das Sicherheitsempfinden der Deutschen auswirken. Das Resultat ist alarmierend: Die Menschen fühlen sich zunehmend bedroht durch die anhaltend hohe Migration und durch extremistische Gruppierungen, die durch Zuwanderung zu uns gekommen sind und die Konflikte ihrer Heimatländer auf unseren Straßen austragen. 80 Prozent der Befragten haben wenig oder kein Vertrauen in die Migrationspolitik der Bundesregierung. 48 Prozent der Befragten beklagen, dass die Kriminalität durch Flüchtlinge stark gestiegen sei. Es gibt bei den Menschen psychische Dispositionen, die eine verantwortungsvolle Politik nicht übersehen sollte.  Wenn die Einwanderung von Menschen aus einer völlig fremden Zivilisation droht, sind Ängste und Widerstände unausweichlich. Unsere Politiker sollten auf den großen Menschen- und Völkerkenner Theodor Fontane hören, der in seinem Roman „Vor dem Sturm“ (1878) schrieb: „Keiner hat mehr als sich selbst. Sehen wir das Ganze hinschwinden, so schwindet uns auch die Lust an der eigenen Existenz“. Am Beispiel der Ohnmachtsgefühle der preußischen Landbevölkerung unter der brutalen Besatzung Napoleons beschreibt Fontane den Selbstbehauptungswillen einfacher Menschen, die sich weder unterjochen und ausbeuten noch kulturell unterwerfen lassen wollen. Der Landsturm, den sie gründen, wird zum Fanal für den Beginn der Befreiungskriege, denen sich nach langem Zögern schließlich auch der preußische König anschließt. Auch wenn das historische Beispiel hinkt, ist eine Parallele doch unübersehbar. Die Menschen lieben es, in ihren Traditionen zu leben, die den Wurzelgrund ihres Seins bilden. Sie möchten Heimat, Vertrautheit, Lebensgewohnheiten nicht durch Zugewanderte, schon gar nicht durch Menschen, denen die kulturellen Standards des Landes fremd sind, zur Disposition stellen lassen. Es ist ein großer Fehler der Ampelparteien, über die Ängste der „Menschen ganz unten“ mit moralischer Überheblichkeit hinwegzusehen.

Bauernprotest als Freiheitsfanal

Mit dem Protest der Bauern erlebte das politische Berlin eine Protestbewegung, die aus dem Urgrund der Gesellschaft kommt, von dort, wo Grund und Boden bewirtschaftet und unsere Nahrungsgrundlage gelegt wird. Dieser Protest hat einen hohen Symbolwert, weil durch ihn die luftigen Höhen der städtisch-akademischen Wokeness geerdet werden. Jährlich im Herbst feiern Dorfbewohner in der Kirche das Erntedankfest. Sie bestaunen die liebevoll dargereichten Früchte des Jahres, die  Ehrfurcht und Dankbarkeit wecken. Viele Städter, wozu auch die politische Klasse gehört, haben das Gefühl für die Arbeit der Bauern verloren. Für sie sind sie Klimaschädlinge und finanzielle Melkkühe. Dem Protest der Bauern ist auch ein Freiheitswille eingeschrieben, der den in vielfältige Zwänge eingebundenen Städtern verloren gegangen ist. Deshalb hat der Bauernprotest auch eine kulturell-moralische Komponente. Das war schon in der Frühen Neuzeit so, als 1525 der Große Deutsche Bauernkrieg ausbrach. Damals ging es den Bauern schon um Wertschätzung und Respekt. Auch der Bauer wollte als Gottes Ebenbild, als freier Mensch leben: „Wach auf, wach auf, du deutsches Land! /Du hast genug geschlafen, /bedenk, was Gott an dich gewandt, /wozu er dich erschaffen.“ Die Ampelregierung vermochte auf den Bauernprotest nur mit dem schnöden Verdacht zu reagieren, er könne rechtsextremistisch unterwandert sein.

Hohe Hürden für ein Parteienverbot

Im Zuge der Protestdemonstrationen gegen Rechts wurden Stimmen laut, die das Verbot der AfD forderten. Ihre verfassungsfeindliche Gesinnung sei durch das Geheimtreffen in Potsdam eindrücklich bewiesen. Auch Spitzenpolitiker der Ampelregierung, allen voran die SPD-Vorsitzende Saskia Esken, fordern inzwischen ein AfD-Verbot. So sehr man die Empörung über die AfD verstehen kann, so klug wäre man beraten, wenn man kühlen Kopf bewahrte und das Für und Wider eines Verbotes sorgfältig abwägte. Unser Grundgesetz errichtet hohe Hürden für das Verbot einer Partei. Nur Verfassungsorgane wie Regierung, Bundestag und Bundesrat dürfen einen Verbotsantrag stellen, dem dann das Bundesverfassungsgericht mit einer 2/3-Mehrheit des damit befassten Senats stattgeben muss. Den Parteien als Mitbewerbern ist es aus gutem Grund nicht erlaubt, mit einem eigenen Antrag nach Karlsruhe zu gehen. Der Grund für die hohen Hürden liegt auf der Hand: „Die Waffe gegen Extremisten sollte nicht das Parteienverbot, sondern der Parteienwettbewerb sein.“(Gabor Steingart, Focus) – An dem 2017 gescheiterten Verbotsantrag gegen die NPD lässt sich ablesen, welche Kriterien das Bundesverfassungsgericht als zentral ansieht, um eine Partei verbieten zu können. Sie muss in einer aggressiv-kämpferischen Haltung die Prinzipien von Demokratie und Rechtsstaat angreifen. Nach Meinung von Verfassungsexperten, auch von ehemaligen Verfassungsrichtern, trifft das auf die AfD gegenwärtig nicht zu. Sie ist in Teilen zwar verfassungswidrig, einigen ihrer Politiker wurde vom Gericht eine verfassungsfeindliche, „faschistische“ (Björn Höcke) Haltung attestiert. In Gänze handelt es sich aber um eine Partei mit einer rechts-konservativen Programmatik, die für sich genommen noch keine Gefahr für die Demokratie darstellt. Deshalb urteilt in der jetzigen Debatte der Rechtswissenschaftler Prof. Volker Boehme-Neßler von der Universität Oldenburg: „Die AfD hat mit ihren 40.000 Mitgliedern nicht die Mittel, die Demokratie abzuschaffen. Sie ist im Vergleich zur NSDAP sehr klein, hat kein Paramilitär, zeigt sich nicht gewaltbereit und verfügt auch sonst über keine Machtmittel, den Staat auszuhebeln.“

Märtyrerstatus für die AfD?

Politologen und Verfassungsrechtler sehen einen Antrag zum Verbot der AfD skeptisch. Unabhängig von seinen Erfolgsaussichten würde der Antrag dem Märtyrerstatus, den die AfD ohnehin schon für sich beansprucht, Flügel verleihen. Frustrierte Bürger könnten sich aus Trotz veranlasst sehen, in der Zeit bis zur Verkündung des Urteils durch das Verfassungsgericht erst recht AfD zu wählen, was deren Stimmanteile in ungeahnte Höhen treiben würde. Wissenschaftler halten es auch für eine Verletzung demokratischer Grundsätze, wenn eine Wählerschaft von über 30 Prozent (in Ostdeutschland) ohne politische Repräsentanz bliebe. Eine Radikalisierung von Teilen der Wählerschaft könnte die Folge sein. Von 1968 bis 1975 sorgte die linksradikale „Außerparlamentarische Opposition“ für gewalttätige Auseinandersetzungen in der Gesellschaft, die erst abnahmen, als die Grünen ins Parlament einzogen und dem Protest der jungen Generation ein legitimes Sprachrohr verliehen.

Die Probleme lösen

Politikwissenschaftler fordern fast schon gebetsmühlenhaft, dass die demokratischen Parteien endlich anfangen müssen, die Probleme, die die Bürger am meisten bedrücken, zu lösen. Nur so lasse sich der Durchmarsch der AfD stoppen. Dass es möglich ist, Rechtspopulisten entscheidend zu schwächen, zeigen die skandinavischen Länder. Deren Regierungen haben erkannt, dass sie vor allem das Problem der illegalen Einwanderung lösen müssen.  Als sie von tolerant auf streng umschalteten, zeigte der Kurswechsel schnell Wirkung. Die Wahlergebnisse der Rechtspopulisten gingen von über 20 Prozent auf unter fünf Prozent zurück. In Deutschland machen die Parteien, die die Regierung tragen, bislang keine Anstalten, in der Migrationspolitik das Ruder herumzuwerfen. Zu stark sind bei Sozialdemokraten und Grünen noch die Kräfte, die der Meinung sind, eine ungehinderte Migration sei für die hier lebenden Menschen ein Segen und kein Fluch. Hoffnung kommt ausgerechnet aus dem Osten der Republik. Dort gründeten konservative SPD-Mitglieder vor kurzem den Arbeitskreis „Seeheimer Thüringen“. In einem ausführlichen Dokument fordern die Genossen eine „restriktivere Migrationspolitik“, weil „die Bevölkerung mit der Anzahl von Migrantinnen und Migranten überfordert“ sei. Sie fordern eine „Begrenzung und Steuerung der Migration“. „Die Akzeptanz der Migrationspolitik“, heißt es, „schwindet in atemberaubender Geschwindigkeit und bis hinein in bisher überaus tolerante Kreise“. Ob die Berliner Führungsspitze der SPD die Dringlichkeit des Appells begreift?

Politiker von Format sind gefragt

Hätte die SPD einen Gerhard Schröder an der Spitze, wäre der Ausweg klar. Schon aus Gründen des Machterhalts würde er in der Wirtschafts- und Sozialpolitik den Schalter umlegen, wie er es schon einmal im Jahr 2005 getan hat. Bevor er riskierte, dass die deutsche Wirtschaft abschmiert, würde er die Energiepolitik vom Kopf auf die Beine stellen. Frankreich zeigt, wie es geht. Mit dem billigen Atomstrom konnte die kriegsbedingte Inflation für Firmen und  Bürger niedrig gehalten werden. Wir dagegen schalten funktionierende Atomkraftwerke ab, verteuern dadurch den Strom und riskieren, dass Firmen die Produktion stilllegen oder ins billigere Ausland verlagern. Schröder würde den Grünen in der ihm eigenen robusten Art klarmachen, wer in der Koalition Koch und wer Kellner ist. Industrie und Bürger würden es ihm danken. Aber Olaf Scholz? Die Erfahrung von Weimar zeigt, dass es immer auch Politiker braucht, die die Zeichen der Zeit erkennen und gewillt sind, die Probleme zu lösen, bevor es die Kräfte tun, die darauf aus sind, die Demokratie zugrunde zu richten.

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